Hamam - Das türkische Bad

(Il Bagno Turco)

Italien/Spanien/Türkei 1986.

Produktion: Soprasso Film/Promete Film/Asbrell Prod.
Produzenten: Marco Risi, Maurizio Tedesco, Cengiz Ergun, Aldo Sanbrell.
Regie: Ferzan Ozpetek.
Buch: Stefano Tummolini, Ferzan Ozpetek.
Kamera: Pasquale Mari.
Musik: Pivio, Aldo de Scalzi.
Schnitt: Mauro Bonanni.
Darsteller: Alessandro Gassman (Francesco), Francesca D'Aloja (Marta),
Carlo Cecchi (Oscar), Halil Ergun (Osman), Serif Sezer (Perran), Mehmet
Gunsur (Mehmet), Baskar Koklukaya (Fusun), Alberto Molinari (Paolo),
Zozo (Zozo Toledo).

94 Min. Verleih: MFA.


Ein italienischer Innenarchitekt reist nach Istanbul, um das Haus
seiner verstorbenen Tante zu verkaufen, in dem sich ein türkisches
Bad befindet. Der Reiz der fremden Kultur aber verwirrt ihn und
läßt ihn verweilen. Er beginnt, das Hamam zu renovieren und die
Vorzüge der türkischen Kultur zu genießen. Regiedebüt, das aus der
intimen Kenntnis beider Welten schöpft, dessen Versuch aber, aus
Neorealismus und türkischem Melodram einen eigenen Stil zu
gewinnen, scheitert. Obwohl zentrale Motive sich nur aus dem Off
erschließen, gelingen dennoch aufschlußreiche Miniaturen über
kulturelle Differenzen. - Ab 16 möglich.

In Westeuropa ist die Kultur öffentlicher Bäder nach einer kurzen Blüte im
Spätmittelalter erloschen. Erst im Zuge der Wiederentdeckung des Körpers
am Ende des letzten Jahrhunderts und der momentanen Fitness-Bewegung
haben Schwimmbecken und Dampfbad im Alltag neuen Einzug gefunden.
Am weltweiten Siegeszug des schlichten finnischen Sauna läßt sich allerdings
der funktionale Charakter dieser Renaissance ablesen, der den Zug der
Moderne zur Vereinzelung dokumentiert. Die aufwendige architektonische
Gestaltung alter türkischer Hamams, die neben der Moschee oft das zweite
repräsentative Gebäude einer Stadt waren, deutet auf einen anderen,
wesentlich kommunikativeren Zusammenhang hin. Obwohl die
psycho-hygienischen Resultate der schweißtreibenden Beschäftigung nie
geringgeschätzt wurden, stand der soziale Charakter des Hamam im
Mittelpunkt. In Ferzan Ozpeteks mediterranem Film bildet der
fortschreitende Niedergang dieser Tradition die prägnante Hintergrundfolie
für ein verhaltenes Melodram. Die Hauptfigur, der römische Innenarchitekt
Francesco, reist zunächst nur widerwillig ins Morgenland. Eine unbekannte
Tante hat ihm in Istanbul ein Haus hinterlassen, in dessen Erdgeschoß sich
ein ehemaliges türkisches Bad befindet. Anfänglich nur am zügigen und
lukrativen Verkauf interessiert, erliegt der Vielbeschäftigte bald dem Reiz
der fremden Umgebung. Die ungewohnte Gastfreundschaft der Familie, die
in dem Haus wohnt, und deren Tochter Fusun verwirren ihn; die Lektüre
der Briefe, die seine Tante nach Italien schrieb, dort aber nie angenommen
wurden, bringen in ihrer sensiblen Reflexivität verdrängte Saiten zum
Klingen; die Entdeckung, daß seine Unterschrift die rigorose
Modernisierung des malerischen Viertels besiegelt, weckt überraschend
Skrupel. Mit jedem Tag, mit dem Francesco die Entscheidung
hinausschiebt, fühlt er sich freier und wohler - und beginnt schließlich
mit  der Renovierung des Bades. Wochen später reist seine Frau Marta nach
Istanbul, in der Absicht, ihn zur Scheidung zu überreden, da sie seit langem
ein Verhältnis mit seinem Geschäftspartner unterhält. Doch sie trifft auf einen
völlig veränderten Ehemann, der alle snobistischen Attitüden verloren hat.
Ihr Verdacht, daß die hübsche Fusun hinter dieser Verwandlung steht,
bestätigt sich nicht: Nachts beobachtet sie im Hamam, wie Francesco
Mehmet liebt, Fusuns Bruder.

Die intime Kenntnis beider Lebenswelten
nützt Ozpetek für viele kleine Miniaturen, in denen
sich die kulturellen Unterschiede manifestieren und die mitunter interessante
Infragestellungen provozieren. Das westliche Schlankheitsideal wird
beispielsweise durch mehrere kleine Randbemerkungen gebrochen, die aus
der zentralen Bedeutung des gemeinsamen Essen erwachsen, wie
umgekehrt die in Deutschland kaum wahrgenommene außergewöhnliche
Toleranzbereitschaft der türkischen Kultur auch frühkapitalistischen
Wirtschaftsmethoden keine Grenzen setzt. Der flanierende Stil Ozpeteks
ermöglicht auch eine Reihe von Aufnahmen der Stadt und des Bosporus,
dessen abendliche Brise metaphorisch als jener befreiende Hauch
beschrieben wird, der die Türkei-Reisenden ihre Heimat vergessen läßt.

                                                Josef Lederle